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Jung, planlos und Wahl-Berlinerin. Wie es mir seit dem Zuzug ergangen ist

25.05.2020

Berlin wird gehypt ohne Ende. Doch wie es es wirklich, von einer mittelgroßen Stadt in die Hauptstadt zu ziehen? Hier erfährst du, wie es mir seit vier Jahren Berlin persönlich ergangen ist.

Berlin wird gehypt ohne Ende. Doch wie es es wirklich, von einer mittelgroßen Stadt in die Hauptstadt zu ziehen? Hier erfährst du, wie es mir seit vier Jahren Berlin persönlich ergangen ist.

Jung, planlos und Wahl-Berlinerin. Wie es mir seit dem Zuzug ergangen ist

Geschrieben von: Sophia Hess

Berlin: Touristen. U-Bahn. Techno. Wohnungsmangel. Mode. Prenzlauer Berg-Mamas. Müll. Club-Mate. Studierende. Spätis. Osten. Westen. Neukölln. Hippsein. Drogen. Restaurants. BVG. Berghain. Tempelhofer Feld. Nie fertig werdender Flughafen.

Der Hype is real

Ja, ditte is Berlin. Die Stadt ist ein Hype, der gefühlt niemals aufhört. Auch ich bin Wahl-Berlinerin, seitdem ich für mein Masterstudium vor vier Jahren nach Berlin gezogen bin. Aber was macht eine neue Stadt wie Berlin mit einem? Und was machen die Menschen mit Berlin? Ich denke, dass es neben rein beruflichen Gründen zunächst einen relativ klaren Selektionseffekt derjenigen Leute gibt, die nach Berlin ziehen. Es sind oftmals besonders erlebnishungrige, urban-orientierte Leute, die sich vom Charme der Stadt anziehen lassen, was erleben wollen. Und so finden sich Menschen aus der ganzen Welt zusammen, die die Gemeinsamkeit teilen, in Berlin ihr persönliches Glück zu suchen.

Wohnungsknappheit

Ob es klappt? Kommt ganz darauf an: Was hat man für Vorstellungen? Was erhofft man sich von der Stadt? Und ganz wichtig: Findet man überhaupt eine Wohnung (wenn es nicht gerade Marzahn sein soll)? Die Wohnungssituation ist schon dreist. Entweder man hat einfach viel Glück (so wie ich) oder man kennt jemanden, der jemanden kennt der jemanden... Anders wird es schwierig in einem der üblichen Verdächtigen wie Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Wedding, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Selbst WGs sind rar, so habe ich mich selbst hochgewohnt, angefangen von Steglitz (sterbenslangweilig) über Britz (ist zumindest ein Stadtteil von Neukölln) bis hin zu Nord-Neukölln (endlich „Berlin“).

Leben in Neukölln

Ich liebe Neukölln. Der nördliche Stadtteil des Bezirks ist ethnisch durchmischt, es leben viele Studierende und gleichzeig alteingesessene türkisch- und arabischstämmige Personen jeden Alters hier. Die Musikszene ist groß, in der Griessmuehle oder im SchwuZ geht man zu Techno feiern, im Donau15 und Yorckschlösschen bekommt man hochklassigen Jazz zu hören. Die Atmosphäre ist locker und alles andere als posh. Auf der Sonnenallee gibts das beste arabische Essen, im Kiez Weserstraße eine Menge guter Bars und Second-Hand-Läden.

Inspiration ist überall

Wie hat Berlin mich persönlich geprägt? Nach einigen wenigen Monaten hat sich zunächst mein Kleiderschrank gewandelt. Das Portemonnaie wurde dadurch definitiv kleiner, meine Outfits aber individueller. Ich habe Second-Hand-Klamotten entdeckt, welche in meiner Heimatstadt nicht wirklich zu finden waren. Hier leben unendlich viele Leute, die mich inspirieren, egal ob random Passanten, die ich nicht kenne oder neu gewonnene Freundschaften. Kunst und Ausdrucksformen sind generell ein großes Thema hier. Berlin bot bislang gute Voraussetzungen für Künstler*innen und Freischaffende mit einst bezahlbaren Wohnungen, tief verankerten Kunststrukturen mit entsprechenden sozialen Netzwerken und geeigneten Räumlichkeiten.

Arm aber sexy

Berlin ist arm aber sexy, wie der einstige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit zu sagen pflegte. Nach dem Mauerfall eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten für Junge und Kreative. Ehemalige DDR-Gebäude, die seit der Wende freistehend waren, wurden für Clubs und Ateliers genutzt. Es entwickelten sich trotz städtebaulicher Probleme physische und kreative Freiräume, die Berlin bis heute sexy machen. Arm wurde die Stadt insbesondere durch schlecht geplante Bauprojekte und falsche Bevölkerungsprognosen. Nachdem das prognostizierte Bevölkerungswachstum in den 90ern und 00ern zunächst ausblieb, wurden zudem zehntausende Sozialwohnungen im Osten Berlins abgerissen; Wohnungen die heute fehlen.

Einzigartige Geschichte

Berlin ist durch seine Geschichte der Teilung jedenfalls einzigartig. Die entstandenen Freiräume nach der Wende, aber auch die ehemalige Mauer, welche das Stadtbild bis heute prägt, machen die Hauptstadt zu einem attraktiven Lebensraum für interessante Menschen. Ich finde, dass genau diese Menschen die Stadt interessant machen. Sie beleben das Stadtbild durch ihre kulturellen Backgrounds, bereichern den städtischen Tonus mit unterschiedlichen Sprachen, Küchen, Ideen. Sie erweitern bis heute meinen persönlichen Horizont, lassen mich jene Einstellungen reflektieren, welche ich vorher nicht hinterfragt habe. Die Stadt tut ihr übriges, indem sie mir und ihren restlichen 3,5 Millionen Bewohner*innen den Luxus bietet, 24/7 Kultur, Essen, Party usw. bereitzustellen.

Was ist negativ an Berlin?

Was finde ich negativ an Berlin? Well, wahrscheinlich genau jene Dinge, die an jeder Großstadt blöd sind: Lärm, Müll, Stress, verstopfte Straßen, Abgase, knapper Wohnraum. Nicht selten bin ich fast eine Stunde unterwegs, wenn ich mich mit Freunden in einem anderen Bezirk als Neukölln treffe. Busse und Bahnen sind regelmäßig überlastet, mehrere Male wurde meine Tasche bzw. mein Geldbeutel geklaut. Das ist eben Normalität in einer Großstadt. Dennoch wären einige Punkte aus politischer Sicht lösbar. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind derart teuer, dreckig und voll, dass es nicht verwunderlich ist, wenn Leute lieber mit dem Auto zur Arbeit fahren. Kostenlose Öffis wären ein Anfang, höhere Sanktionen oder Parkplatzregulierungen für Autofahrende ebenfalls Anreize, auf Bus und Bahn umzusteigen. Zudem ist die Situation für Fahrradfahrende in Neukölln katastrophal. Auf der Sonnenallee, welche die größte Straße des Bezirks ist, gibt es nicht einmal Fahrradwege. Unverständlich.

Freiheit und Sicherheit?

In Berlin schockt einen irgendwie nichts mehr. Wenn man Pech hat, wird man schon mal von Leuten in der U-/S-Bahn oder auf der Straße angeschrien oder angepöbelt. Das macht die Menschen irgendwie abgeklärt und lässig. Es tanzt jemand annähernd nackt im Bus Poledance? Endlich mal eine interessante Abwechslung zum Smartphone. Es schreit jemand auf der Straße wirre Geschichten? Ich muss noch unbedingt Brot besorgen. Irgendwie ist alles normal. Wer Reaktion zeigt, outet sich als Touri oder kürzlich Zugezogne*r. Die Stadt wirkt dennoch verhältnismäßig sicher. Ich bin noch nie in eine gefährliche Situation geraten. Angenehm ist vor allem, dass die Straßen auch bis in die Nacht hinein noch recht belebt sind, was mir (zumindest ein Gefühl von) Sicherheit gibt.

Summa summarum

Nun lebe ich seit einigen Jahren in Berlin und will die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, nicht missen. Die Umgebung hat mich geprägt und weiterentwickelt. Wer hungrig auf urbanen Lifestyle ist und Menschen nicht unbedingt meiden möchte, ist hier gut aufgehoben. Ich kann nicht aus der Perspektive von Eltern, Rentner*innen oder etwa Geflüchteten sprechen, aber für mich als Studienabsolventin war Berlin die wohl beste Entscheidung nach dem Bachelorabschluss. Und wer weiß, vielleicht ist die nächste Station New York? Wie es auch kommt, Berlin ist und bleibt arm aber sexy für mich.


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